Wozu und wie
einen „mathematischen Wortschatz“ aufbauen
Eine veränderte Kindheit mit sehr viel weniger handlungsorientierten und sprachlich begleiteten Spielaktivitäten führt inzwischen dazu, dass es schon im Anfangsunterricht der Grundschule eine stetig steigende Zahl von Kindern gibt, die dem Mathematikunterricht nicht mehr verstehend folgen kann.
Heute verfügen immer weniger Kinder über die sprachlichen Mittel,
logische Schlüsse und mathematische Sachverhalte
verständlich und mathematisch korrekt ausdrücken zu können.
Dies führt inzwischen zunehmend dazu, dass auch Kinder mit einer guten Intelligenz häufig Rechenaufgaben nur über ihre innere Logik lösen können, dabei allerdings nicht in der Lage sind, ihren Lösungsweg auch sprachlich darzustellen oder eine Rechenaufgabe dazu zu bilden.
Hier zeigen sich deutlich die Ursachen der laut PISA-Studie so geringen Qualifikationen unserer Schüler im problemlösenden Denken.
Problemlösend denken kann ich nur, wenn ich den Sachverhalt, seine Bedingungen und meine Schlussfolgerungen in Worte zu fassen vermag.
Darüber hinaus bauen viele Kinder keinen tragfähigen Zahlbegriff auf und haben große Schwierigkeiten, die Grundrechenarten zu erlernen.
Immer mehr Kinder verstehen unter Rechnen nur ein Auf- oder Abwärts-Zählen.
Kindern mit derartigen Problemen wird von kinder- und jugendpsychiatrischen Praxen eine bis heute allerdings noch nicht fest definierte „Dyskalkulie“ attestiert, welche zumeist auch noch in Verbindung mit einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS oder ADHS) mit hypotoner (verträumt, zu langsam) oder hyperaktiver Ausprägung (hibbelig, unruhig, impulsiv …) gesehen wird. Sachentsprechender ist es, diese Kinder als „zählende Rechner“ zu bezeichnen, deren Konzentration auf das Unterrichtsgeschehen deutlich beeinträchtigt ist auf Grund der ständig erlebten Defizite im Rechnen, die sich das Kind allerdings nicht selbst zu erklären vermag.
Dieses Phänomen, weithin auch mit „Rechenschwäche“ bezeichnet, basiert jedoch nicht auf einer Krank-heit oder mangelnden Intelligenz. Kinder mit besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Rechnens (so es sich nicht um ein generell lernschwaches Kind handelt) sind auf Grund einer Entwicklungsverzögerung im Bereich der Wahrnehmung und damit auch der Logik nicht in der Lage, dem Mathematikunterricht am Schulbeginn verstehend zu folgen.
Bei ihnen sind die pränumerischen Grundlagen, auch mathematische Vorläuferfähigkeiten genannt, am Schulanfang noch nicht entsprechend ausgeprägt.
Normalerweise entwickeln sich diese Fähigkeiten im Vorschulalter durch eine angeleitete, spielerische Begleitung des Alltagsgeschehens. Immer häufiger wird jedoch medial und nicht mehr handlungsorientiert gespielt, und immer seltener werden Kinder von den Erwachsenen zu spielerischem Tun angeleitet, bei dem eine Lernumgebung geschaffen wird, die es den Kindern ermöglicht, selbst neue Einsichten zu vollziehen und ihre logischen Fähigkeiten gezielt weiterzuentwickeln.
Das Fehlen der sogenannten mathematischen „Vorläuferfähigkeiten“ sollte vor oder bei Einschulung
erkannt werden, da es sonst schnell zu tragischen Folgen beim Erlernen der Grundrechenarten für das Kind kommt.
Kinder, bei denen das Fehlen mathematischer Vorläuferfähigkeiten vor oder spätestens bei Schulbeginn nicht erkannt wird, meinen schnell, sie seien „dumm“. Mit großem Einfallsreichtum entwickeln sie eigene Strategien. Da diese aber mathematisch nicht korrekt und daher auch nicht Ziel führend sind, schwindet
schnell ihr Vertrauen in das eigene Können, ihr Selbstbewusstsein wird beeinträchtigt und es entwickeln sich Versagensängste; die Kinder verlieren die Freude nicht nur am Mathe-Unterricht, sondern nicht selten auch an der Schule insgesamt und das alles bereits im ersten Schuljahr. Häufig wird der Mathematikunterricht dann zum Schreckensfach. An den Rechenhausaufgaben sitzen die Kinder zumeist Stunden lang; häufig gibt es zu Hause jedes Mal erst einen Kampf, bevor das Kind überhaupt mit dem Rechnen beginnt.
Diesem Dilemma kann man jedoch im letzen halben Jahr vor Schulbeginn vorbeugen und auch sogar noch bei Schulbeginn abhelfen.
Mit dem strukturierten Material, den Lernspielen und ausführlichen Beschreibungen dazu können unter klarer Anleitung eines Erwachsenen die logischen und mathematischen Grundlagen erarbeitet und ein mathematischer Grundwortschatz aufgebaut werden, die die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das Kind sich verstehend am Mathematikunterricht des 1. Schuljahres und aller weiteren Klassen beteiligen kann.
Besonders wichtig ist es, den Kindern zu einem umfassenden Wortschatz zu verhelfen, mit dem sie logische Schlüsse und mathematische Sachverhalte ausdrücken können. Nur dann kann ein Kind auch eine hinreichende Problemlösekompetenz aufbauen.
Das zunehmende Fehlen eines solchen mathematischen Grundwortschatzes fiel mir bereits während meiner eigenen Unterrichtstätigkeit in allen Schularten auf.
In der intensiven Einzelzuwendung der lerntherapeutischen Förderung zeigte sich mir darüber hinaus besonders deutlich, dass dieses gravierende Defizit, logische Schlüsse und mathematische Sachverhalte nicht in Worte fassen zu können, nicht nur bei Kindern aus bildungsferneren Elternhäusern, sondern bei Kindern aller Sozialschichten zu finden ist.
Bei der Suche nach den Ursachen, wie es zu dieser eingeschränkten Ausdrucksfähigkeiten bei Kindern in der heutigen Zeit kommen konnte, fiel mir zunächst auf, dass auch die von mir betreuten Pädagogikstudenten und Lehramtsanwärter eine gezielte Anleitung benötigten, um selbst grundlegende mathematische Sachverhalte, wie z.B. den Mengen-Vergleich, sachlich korrekt, logisch einsichtig und vor allem für Grundschulkinder verständlich ausdrücken zu können.
Die Schwierigkeit, mathematische Sachverhalte des Grundschulstoffs altersgemäß und für Kinder verständlich sprachlich auszudrücken, wird meines Erachtens bisher in der Ausbildung von Erziehern und Pädagogen erheblich unterschätzt.
Die Komplexität vermeintlich einfacher mathematischer Sachverhalte wird deutlich, wenn man das Konzept des Vergleichens von Mengen über Eins-zu-eins-Zuordnungen oder auch das der Repräsentanz und Invarianz sprachlich zu beschreiben versucht. Beides sind grundlegende mathematische Konzepte, die Kinder vor Schuleintritt jedoch erworben haben müssen, um verstehend am Mathematikunterricht der 1. Klasse teilnehmen zu können.
Bei Hospitationen im Unterricht im Rahmen der Referendarausbildung war mir dieses Defizit schon in den 80er und 90er Jahren aufgefallen.
In den letzten Jahren gezielt nun darauf achtend zeigte sich auch bei Hospitationen gestandener Lehrer, dass im Mathematikunterricht unserer Grundschulen kaum auf eine Förderung der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit mathematischer Sachverhalte geachtet wird. Zudem benutzten in der Grundschule häufig neben den vielfach ohne ein mathematisches Studium unterrichtenden Lehrern selbst ausgebildete Mathematiklehrer keine einheitlichen Benennungen. Fast nie war zu entdecken, dass Mathematiklehrer selbst Aufgaben entfalteten und den Kindern über „Rechengeschichten“ u.ä. sprachliche Vorbilder an die Hand gaben, wie man mathematische Sachverhalte kindgemäß sprachlich darstellen kann.
Das gleiche Defizit zeigt sich bei genauer Durchsicht auch in fast allen modernen Unterrichtswerken. In ihnen wird zwar immer wieder auf die Notwendigkeit von so genannten „Mathe-Konferenzen“ hingewiesen, bei denen die Schüler einander ihre unterschiedlichen Rechenwege erklären sollen; aber wie soll ein Kind dies überhaupt leisten, wenn es gar nicht angeleitet wurde, einen umfassenden Wortschatz aufzubauen, mit dem es seine Gedanken beim Lösen von Rechenaufgaben mathematisch und logisch korrekt darstellen kann?
So wurde mir von vielen Mathematik-Kollegen berichtet, dass auf diese Mathe-Konferenzen in der Praxis überwiegend verzichtet wird mit der Begründung, dass zum einen die meisten Kinder sowieso nicht erklären könnten, wie sie auf ihr Ergebnis gekommen seien, und zum anderen die anderen Mitschüler auch gar nicht erst zuhören würden, da sie nicht im Stande wären nachzuvollziehen, was die anderen erklärten.
Der gezielte Aufbau eines mathematischen Grundwortschatzes steht bisher leider noch nicht ausreichend im Fokus des Mathematik-Lernens in der Grundschule, obwohl es die Bildungspläne laut KMK-Beschluss vom 15.10.2004 eigentlich vorgeben.
Auf der anderen Seite wird von Elternhäusern und Kindertagesstätten erwartet, dass diese bei den Kindern bis zur Einschulung einen Wortschatz aufgebaut haben, mit denen mathematische Vorläuferfähigkeiten und logische Schlüsse sprachlich ausgedrückt werden können. Wie sollen aber Eltern und Erzieher dazu im Stande sein, wenn sie selbst dies nicht gelernt haben.
Bei meinen Fortbildungsveranstaltungen wurde ich von Eltern, Erziehern und Lehrern Immer wieder nach Literatur mit praktischen Anleitungen zum Aufbau mathematischer Sprachkompetenz gefragt.
Im Bereich der mathematischen Frühförderung sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe mathematik-didaktisch akzeptabler Bücher erschienen, die Erziehern und Eltern dabei helfen wollen, mit Kindern im Vorschulalter die notwendigen Fähigkeiten aufzubauen, die für eine verstehende Teilnahme am Mathematikunterricht der 1. Klasse benötigt werden.
Für sehr empfehlenswert halte ich u.a.:
- „Mit Kindern Mathematik erleben“ von Andrea Peter-Koop und Meike Grüßing
- sowie die 5 Kästen mit Arbeits- und Spielmaterial „Das kleine Zahlenbuch 1 und 2“, „Das kleine Formenbuch 1 und 2“ und „Das kleine Denkspielbuch“ der Professoren Müller und Wittmann.
Die notwendigen Vorläuferfähigkeiten werden darin zwar in richtiger Schrittfolge und mit guten Übungen beschrieben. Was aber auch hier fehlt, ist eine genaue sprachliche Anleitung der Kinder, um in spielerischer Beschäftigung einen mathematischen Grundwortschatz gezielt aufzubauen.
Lediglich in Werken, die im Rahmen wissenschaftlicher Projekte entstanden sind,
findet sich neben einer fachlich guten mathematik-didaktischen Aufarbeitung auch eine detaillierte sprachliche Anleitung, wie gefragt und wie das Kind angeleitet werden soll zu antworten.
- Krajewski, K., Nieding, G., Schneider, W.,
Mengen, zählen, Zahlen, Die Welt der Mathematik verstehen - Jansen, P.,
MATINKO Lernprogramm - Fritz, A., Ricken, G., Gerlach, M., Kalkulie,
Diagnose und Trainingsprogramm für rechenschwache Kinder
Diese Werke sind für Schulen und Kindertageseinrichtungen sehr empfehlenswert, jedoch nicht zur privaten Anschaffung gedacht.
Für den Einsatz in Kindertageseinrichtungen, Vorschulklassen und der Schule bedarf es dazu einführender Seminare.
Aus diesen Gründen habe ich mir bei der Erstellung dieses Materials zur Aufgabe gemacht, allen Anleitenden, ob Eltern, Erzieher oder Vor-, Grundschul- und Förderpädagogen, sprachliche Hilfestellungen zur fachlich korrekten Anleitung und sprachliche Modelle zum Aufbau eines detaillierten mathematischen Wortschatz beim Kind an die Hand zu geben.
Die sprachlichen Wendungen sind dabei sehr ausführlich dargestellt und farblich unterlegt.
Die unterschiedlichen Farben machen schnell erkennbar, was die anleitende Person zu sagen hat (gelb unterlegt) und was das Kind (grau unterlegt) antworten sollte.
Mit diesem Sprachmaterial können die Grundlagen erarbeitet werden, mit denen das Kind lernt, dem Geschehen im Mathematikunterricht sowohl verstehend zu folgen als auch seine eigenen Gedanken bei der Lösung mathematischer Problemstellungen sprachlich verständlich auszudrücken.
Da es nicht leicht ist, die Kinder zum so genannten „lauten Denken“ zu bewegen, ist es bei Kindern im Vorschulalter und am Schulanfang empfehlenswert, eine Handpuppe hinzuzunehmen und als Anleitender einen Dialog mit ihr zu führen, in den sich das Kind erfahrungsgemäß sogleich schnell selbst einklinkt.
In meinen Kursen zur mathematischen Frühförderung erweiterten die Kinder diesen Dialog spontan von sich aus, indem sie auch mit den großen „Kuscheltier-Zahlen“, die sie umgehend die ‚lieben Zahlen’ tauften, zu reden begannen.
So kam es ausgehend von den Kindern dazu, dass ich mich dafür entschied, die Zahlen zu personalisieren und damit die Kinder zu Dialogen mit der Leitfigur „Schlau“ und den Zahlen zu motivieren, um sich darüber selbst aktiv in diese Gespräche einzubringen.
Meine praktischen Erfahrungen zeigten, dass der Aufbau eines mathematischen Grundwortschatzes bei Kindern im Alter von 5 - 7 Jahren um so schneller möglich war, als sie sich emotional von den personalisierten Zahlen und einer Leitfigur angesprochen fühlten und dadurch schnell motiviert waren, sich selbst in die verbale Auseinandersetzung um mathematische Sachverhalte und Problemstellungen einzubringen.
Es zeigte sich, dass die Kinder nach einem solchen Einstieg bereits nach kurzer Zeit motiviert waren, sich auch ohne das Vorhandensein der großen Kuscheltier-Zahlen mit Zahlen auf der rein abstrakten Ebene auseinanderzusetzen.